Grundbildung braucht machtkritische Perspektiven

Vier Personen sitzen um einen Tisch herum. Sie schreiben und malen mit bunten Stiften auf Glasscheiben, die auf dem Tisch liegen.

6,2 Millionen Erwachsene in Deutschland verfügen über eine geringe Lese- und Schreibfähigkeit (Studie „LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität”) Die Lese- und Schreibschwierigkeiten führen zu eingeschränktem Zugang zu grundlegenden Kenntnissen, was die gesellschaftliche Teilhabe beeinträchtigt. Hier setzt die Grundbildung an. Sie deckt Themen wie Rechenfähigkeit, digitale Kompetenzen, Gesundheitsbildung oder finanzielle Bildung ab. Es gibt allerdings sehr wenige Angebote, die globale Perspektiven vermitteln. Gleichzeitig sind in der Zielgruppe viele migrantische Perspektiven vorhanden. (Macht)Kritische Perspektiven finden in der Grundbildung kaum Raum: Das Angebot der politischen Bildung ist nicht sehr ausgeprägt beziehungsweise beschränkt es sich auf beispielsweise Wahlen und Parteien. Somit fehlen Angebote, die gesellschaftliche Bereiche wie die Digitalisierung und globale Herausforderung als (entwicklungs-)politische Themen behandeln oder gar machtkritische Perspektiven beleuchten. Hier möchte das F3_kollektiv ansetzen und das bestehende Angebot bereichern. Selbstbestimmte Teilhabe an Gesellschaft braucht (macht)kritische Perspektiven auf die gesellschaftlichen Prozesse. Und Menschen mit geringer Literalität sind politisch interessiert und sollten den globalen Prozess der Digitalisierung mitgestalten können.

Warum Grundbildung zum globalen Prozess der Digitalisierung?

Menschen mit geringer Literalität sind im Prozess der Digitalisierung benachteiligt. In der Grundbildung gibt es zwar Angebote zur Vermittlung grundlegender technischer Kompetenzen, z.B. “Wie suche ich etwas bei Google?”, aber so gut wie keine Angebote, die der Zielgruppe auch vermitteln, was beispielsweise passiert, wenn sie etwas auf einer Website wie Google eingeben.

Die Ergebnisse der Studie „LEO 2018 – Leben mit geringer Literalität” machen deutlich, dass es eine digitale Spaltung gibt, vor allem was die Urteilsfähigkeit in digitalen Prozessen betrifft. Gering literalisierte Menschen bewegen sich im Vergleich zur Gesamtbevölkerung zwar genauso in sozialen Netzwerken, jedoch besteht ein Ausschluss, wenn es um die Online-Suche nach Informationen geht (vgl. LEO 2018, S. 217). Ein aktuelles Beispiel aus einem Workshop in einfacher Sprache: Die Teilnehmer*innen kritisierten, wie schwer es für sie ist an Informationen über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine zu kommen.

Was fehlt ist damit auch der Zugang zu Kompetenzen im kritischen Umgang mit Mechanismen, die sozialen Netzwerken zugrunde liegen, wie der Umgang mit Daten oder Algorithmen. Auch wenn dies nicht nur gering literalisierte Menschen betrifft, sondern größere Teile der erwachsenen Bevölkerung (vgl. LEO 2018, S. 218), braucht es entsprechende Angebote, die der Zielgruppe die Fähigkeiten und das Wissen vermitteln, um sich auch selbstbestimmt(er) im digitalen Raum zu bewegen und Hintergründe zu verstehen.

Denn es sollte in der Bildung zur Digitalisierung nicht darum gehen, „vulnerable Gruppen (…) zur funktionalen Anpassung an eine unvollkommene Gesellschaft zu drängen, sondern eine Form der Erwachsenenbildung anzubieten, die es ihnen ermöglicht, ihre Interessen zu diskutieren und auszudrücken und ihren Stimmen Gehör zu verschaffen“ (LEO 2018, S. 218). In diesem Sinne sehen wir eine große Chance darin, Menschen in der Grundbildung mit unserer machtkritischen Bildungsarbeit zur Digitalisierung beim Empowerment zu unterstützen

In dem Projekt möchten wir ausgewählte Übungen aus unseren Modulen im Projekt #digital_global für die Grundbildung aufarbeiten und Multiplikator*innen dieses Bereichs zugänglich machen.

F3_kollektiv lernt für die Grundbildung

Das F3_kollektiv hat bereits Workshops in einfacher Sprache angeboten. Die Konzeption von Bildungsmaterial für die Grundbildung ist für uns allerdings auch ein Lernprozess. Deshalb bilden wir uns im ersten Quartal 2022 in Fortbildungen zum Thema Grundbildung weiter. Zusätzlich führen wir Interviews mit Kursleiter*innen und Kursteilnehmer*innen und hospitieren beim Grundbildungsunterricht. Unser Konzeptionsteam bereitet anschließend das Material für die Grundbildung auf. Ende 2022 werden wir die neuen Materialien und Methoden in Workshops mit der neuen Zielgruppe erproben. Ab Anfang 2023 stehen die neuen Open Educational Resources (OER) dann Lehrkräften und Multiplikator*innen in der Grundbildung und dem Globalem Lernen frei zur Verfügung. Tragt euch hier in unseren Newsletter ein, um zu erfahren, wann die Seminare für Multiplikator*innen zu den neuen OER stattfinden.